Agnes Stiegler… das bin ich!

Ich (…das bin ich: Katharina – die Mama) darf diesmal schreiben. Auf unserer PWS-Homepage habe ich gestöbert und Agnes‘ Geschichte von 2003 gefunden und dort möchte ich gerne fortfahren. Also noch mal 17 Jahre…also eine lange Geschichte? „Schau ma mal“.

Viele von Euch – von unserer großen PWS-Familie – kennen uns, kennen Agnes, kennen ihren Lebensweg. Wir waren als Familie mal aktiver in der Selbsthilfegruppe, mal haben wir uns auch etwas zurückgenommen und vieles aus der Ferne beobachtet. Agnes hat oft so gute Entwicklungsphasen durchlebt, dass sie von manchen in der Gruppe gern als „Vorzeigekind“ gesehen wurde. Gerade da haben wir uns gern ein wenig zurückgezogen. Da möchte ich um Verständnis bitten. Jeder hat so seinen Rucksack zu tragen, oder? … und jeder ist anders gepackt: mit den kleinen und größeren Erschwernissen, die mit PWS einhergehen; mit Therapien, die oft nicht lustig sind, die den Kindern (ich darf unsere kids doch immer noch Kinder nennen) echt keinen Spaß machen; mit Sorgen und Problemen in der Familie und im sozialen Umfeld; Schulgeschichten; Freunde, die man gerne hätte und die es nicht gibt; Zukunftsvisionen mit vielen Fragezeichen; und und und…

Die letzten drei Familientreffen in Mauterndorf haben mir und uns als Familie wieder gezeigt wie großartig unsere Selbsthilfegruppe und wie jeder in dieser großen PWS-Familie ein wichtiger Puzzlestein des großen Ganzen ist. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen, die so viel für die Gruppe tun bedanken…allen voran Verena, dann Daniela, Anita, Burgi, Renate, Franz, Doris, Dr. Mühleder, (zuvor Dr. Rittinger), Monika, …ich vergesse bestimmt jemanden…ALLEN einfach ein DANKE!

So aber jetzt wieder zu Agnes:

Ihre Geschichte soll also ab 2003 weitererzählt werden: Die Volkschule schließt sie super ab. In den Ferien vor der 4. Klasse schafft sie das „Radlfahren“ und macht den wichtigen „Radlführerschein“ in der 4. Klasse VS…die erste Hürde in die Selbstständigkeit 😊 Hauptschule mit Schwerpunkt Musik starten gut, Agnes spielt mittlerweile schon das 4. Jahr Klavier, sie ist gut integriert und alles scheint zu passen. Doch ab der 3. Klasse wird’s immer schwieriger, nicht unbedingt schulisch…es ist einfach das Soziale Miteinander, das immer schwieriger ist und Agnes in der Klasse als „Mauerblümchen“ erscheinen lässt. Da gibt es Mädchenfreundschaften, bei denen sie einfach nicht mithalten kann und sich sehr schwertut. Ab der 3. Klasse wird sie integrativ geführt, ein Wunsch von uns als Eltern! Wir wollten ihr einfach Druck wegnehmen und wissentlich, dass, wenn man in der Pflichtschulzeit keinen „Integrationsbedarf“ hat, es später schwierig wird, viele Unterstützungen, sei es „Verlängerte oder Überbetriebliche Lehre“ und vieles mehr, überhaupt zu bekommen.

Nach der Hauptschule: das 9. Schuljahr absolviert Agnes im SPZ Tamsweg in der Berufsorientierungsklasse und erklärt uns, dass sie viel früher schon gern ans Sonderpädagogische Zentrum gegangen wäre. Menschlich wäre alles viel schöner gewesen!

Agnes geht weiter in die Schule, in die Ländliche Hauswirtschaftsschule in Feistritz/St. Peter am Kammersberg in der Steiermark (ein bürokratischer Hürdenlauf zwischen den Bundesländern Salzburg und Steiermark…schlimm wie oft man vor Grenzen steht). Diese Schule bietet Integration an weiterführenden Schulen an, damals fast einzigartig in Österreich. Agnes ist im Internat und entwickelt sich wirklich gut. Freilich, es ist nicht immer einfach, aber alle sind sehr bemüht. Der Wunsch Köchin zu lernen folgt unmittelbar und mit der Überbetrieblichen Lehre ist es auch möglich. Es folgen drei Lehrjahre an Betriebsküche der Landwirtschaftsschule Tamsweg mit 3x zweimonatiger Berufsschule für Koch in Obertrum mit Internat. Wenn ich zurückblicke: was Agnes da geschafft hat…unglaublich! Mit so viel Einsatz und Ehrgeiz! Und dann noch die Lehrabschlussprüfung am Wifi in Salzburg. Das wäre eine ganze Geschichte noch einmal für sich. Punktum! Sie hat es geschafft! Und sie und wir sind alle überglücklich und stolz!

Agnes ist so gern unter Leuten. Da ist sie herzlich und lustig und das genießt sie. In der Theatergruppe „Mokrit“ unter der Leitung von Robert Wimmer (Lungauer Kulturvereinigung) lebt sie neben den Klavierspielen ihre künstlerische Seite aus und spielt schon 3 Jahre (ab 2017) in unterschiedlichen Rollen, die ihr Robert auf den Leib schneidert. Heuer ist die Theatersaison Corona bedingt leider abgesagt worden.

Und Agnes gibt nicht auf. Als ich ihren um zwei Jahre jüngeren Bruder Ulrich im Jahr 2013 zum Führerschein anmelde, werde ich staunend gefragt, was den mit Agnes sei, ob ich sie nicht auch anmelden möchte. Wir haben ehrlich gesagt, nie darüber nachgedacht. Doch die Fahrschulbesitzerin setzt Agnes für zwei Stunden ins Auto und meint hinterher: „Da haben schon ganz andere den Führerschein gemacht“. Peter fährt mit Agnes die 1000 km L-Übungsfahrten, ich parallel mit Ulrich die 3000 km L17-Übungsfahrten. Agnes braucht zwar ein bisschen länger, jedoch bei der theoretischen Prüfung schafft sie ganze 98 %, von dem Ulrich nur träumen kann. Agnes ist mittlerweile (2015) stolze Autobesitzerin und das muss ich schon sagen…in unserem Bezirk Tamsweg, ist Gott sei Dank noch nicht so viel Verkehr und das macht es ihr um vieles leichter. Weite Wege, wie nach Salzburg, fährt sie mit dem Bus. Und ich bin echt erleichtert, weil sie selbst merkt, dass sie nur bis zu zirka einer halben Stunde gut konzentrationsfähig ist und dann ermüden würde.

Das Auto braucht sie, um selbständig in ihre neue Arbeit (2017) fahren zu können. Das ist in Mauterndorf in der Catering-Küche des Pensionisten-Wohnheimes geführt vom Salzburger Hilfswerk. Sie ist als begünstig behindert angestellt und macht ihre Arbeit sehr gewissenhaft und so wie sie glaubt, dass es gut ist. Agnes ist sehr bemüht und sicherlich oft auch überfordert. Ihr Ehrgeiz will mehr als ihr Körper und ihr Seelchen. Das haben ihre unmittelbaren Vorgesetzten nicht wahrgenommen und wir als Eltern höchstwahrscheinlich lange übersehen, weil Agnes ja versucht hat, alles zu schaffen. Ihre Unzufriedenheit und auch Überforderung wird nur allmählich und schleichend sichtbar, bis es im Oktober 2019 wirklich zum Zusammenbruch kommt und, ja – Agnes mit „Burn-out“ zu einem Stopp gezwungen wird. Sie braucht viel Zeit im Winter und ins heurige Frühjahr hinein, um sich zu erholen, da kommt uns Corona wieder entgegen. Wir als ganze Familie sind viel beieinander und diese entschleunigte Familienzeit tut uns allen gut.

Zum Glück macht Agnes bei einem Persönlichkeits-Coaching mit. Mit Dr. Maria Bogensperger werden Agnes’ Stärken wieder hervorgeholt. Frau Dr. Maria Huber und unserer Psychotherapeutin vor Ort Mag. Maria Thaler arbeiten mit ihr und Agnes wird wieder fröhlicher, stärker und selbstbewusster. Herr Dr. Mühleder begleitet uns so bedacht und liebevoll möchte ich sagen, wir alle sind sehr dankbar dafür.

Agnes’ Arbeitsverhältnis wurde in der Zwischenzeit (heuer im April) einvernehmlich aufgelöst. Ich bin sehr froh darüber. Es war kein guter Platz für Agnes. Im Juni dieses absolviert Agnes eine Diabetes-Reha, es tut ihr sichtlich gut… sie nimmt ab und verfolgt seitdem ein Fitnessprogramm. Sie schreibt sich bei uns in Tamsweg in ein Fitness-Center ein und geht dort 3- bis 4-mal wöchentlich selbständig trainieren. Agnes ist auf einem guten Weg. Momentan ist Agnes noch im Krankenstand, aber nächste Woche (August 2020) wird sie ganz in unserer Nähe bei Nutropia Pharma GmbH (vormals Ökopharm GmbH, bekannt für z.B. Immun 44, ….) schnuppern. Betriebsintern ist vom Firmengründer eine Firma errichtet worden, in denen Menschen mit Beeinträchtigung ein Arbeitsplatz und die individuelle Betreuung geboten wird. „Schau ma‘ mal“…das ist noch Zukunftsmusik. Dr. Mühleder sagt mir immer: „Zeit lassen!“ Wie recht er doch hat!

Ich/wir Stieglers wünsche/n allen in unserer großen PWS—Familie eine gute Zeit und hoffen, dass wir uns bald wiedersehen.

By | 2021-03-23T10:38:05+00:00 März 23rd, 2021|Allgemein|0 Comments

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